Warten macht hungrig
Mit eiskalten Tricks erweitert das ZDF seine Zielgruppe
Lecker essen bei Kerners Köchen. Mit dieser – man könnte meinen, etwas zielgruppenfernen – Idee bewarben sich die beiden WG-Blogger im Februar 2006 um zwei Eintrittskarten für die Kochsendung von Johannes B. Kerner. Sie hatten gehört, dass man da quasi für lau ein paar Happen Sternekochkunst auf die Gabel bekommt, ohne wirklich zu wissen, was einen in dieser ZDF-Sendung erwarten würde.
Zum Glück (?) hatte das Kulinaristik-Team von WG-Blog.de gut eineinhalb Jahre Zeit, sich mit dieser Frage intensiv zu beschäftigen. Wie man an dem einen oder anderen Beitrag in diesem Blog erkennt, wurde diese Zeit auch sinnvoll genutzt.
Gut, zwischenzeitlich hatte man sich schon gefragt, ob man vielleicht wegen des Alters von vornherein aussortiert worden war. Aber das erschien den erfahrenen Medienkritikern unlogisch – schließlich tut das ZDF gut daran, sich auch mal um jüngere Zuschauer zu bemühen. Liest man zumindest immer und überall…
Der Grund des langen Wartens musste also entweder an der Gefräßigkeit der Deutschen liegen oder aber – und diese Variante klingt für uns im Rückblick nicht unwahrscheinlich – das ZDF wollte uns absichtlich lange hinhalten, um unsere Vorfreude zu erhöhen.
Wenn das der Plan war, dann hatte er Erfolg. Sogar im doppelten Sinne: Als die Zuschauerredaktion uns nämlich im Juli 2007 per E-Mail gleich neun Wahltermine anbot, überkam uns das leichte Gefühl, als seien da mehr als genügend Karten vorhanden. Und so erdreisteten wir uns, aus den zwei seit Ewigkeiten vorbestellten Karten vier zu machen. Das schien für das nette JBK-Team kein Problem zu sein und so war die Vorfreude auf eine nette, interessante Sendung am 22. September 2007 im Hamburger Studio um einiges größer als zuvor.
Losgehen sollte es an jenem Samstag um 12.00 Uhr. Einlass war zwar schon um 11.15 Uhr, doch bis dahin konnte das (immerhin schon seit anderthalb Jahren) hungrige Expertenteam nicht warten. Also trafen sich Pascal, Ania, Oliver und Annira morgens zunächst zum Frühstück in irgendeinem Café in der Nähe der Rothenbaumchaussee. Kulinarisch ein eher zweifelhafter Einstieg…
Weiter ging es im Foyer des Studios, wo man versuchte, uns mit Sekt und Säften abzufüllen. Das gelang auch, jedenfalls begaben wir uns nicht in die allgemeine Schlacht, einen Platz ganz vorne in der Schlange zu ergattern. Genau, eine Schlange. Das heißt, es hätte eine sein können, wenn sich alle wie zivilisierte Menschen an der Kartenausgabe angestellt hätten. Der Clou war nämlich, dass jeder Gast nur Reservierungskarten zugeschickt bekommen hatte. Sitzkarten gab es erst kurz vor der Sendung gegen Zahlung von günstigen fünf Euro – und das ist jetzt nicht ironisch gemeint, denn dieser Preis ist ja nun wirklich akzeptabel!
Eine Riesengruppe von etwa 20 Personen drängelte sich erstmal schön vor und wir sahen schon die besten Plätze schwinden. Doch es sollte anders kommen. Herr Hauser und Herr Kuna übernahmen die Platzverhandlungen an der Kasse und auf die Frage, ob es noch vier zusammenhängende Plätze gäbe, bot man uns prompt welche in der ersten Reihe an. Da sagten wir natürlich nicht nein und mit Erstaunen stellten wir dann auch noch fest, dass es sich tatsächlich um die Plätze Nr. 1 bis 4 handelte!
Ja, ja… Das ZDF hat’s wirklich drauf, auch noch in der letzten Minute vor der Sendung die Vorfreude auf ein Maximum anzuheben. Zügig ging es dann ins Aufnahmestudio, wo sich uns eine von Abbildungen her bekannte Kulisse bot: eine schicke und mit Zutaten en masse bestückte Küchenzeile, in der fünf Köche mit Vorspeise, Zwischengängen, Hauptgericht und Dessert ihr Können unter Beweis stellen sollten.
Doch bevor die Fraktion der Köche erschien, tauchte erst einmal Herr Kerner auf und begrüßte uns ganz nett. Es gab ein paar allgemeine Hinweise, z.B. die dezente Bitte, wir sollten doch bitte so tun, als seien wir in einer Abendsendung. Auch die Information, dass dies die erste Sendung im neuen Studio sei, fanden wir durchaus interessant. Viel wichtiger war aber das heutige Thema der Sendung, denn das sollte schließlich die kommenden 60 Minuten bestimmen.
Man rätselte, wie es wohl lauten könnte.
„Satt essen mit teuersten Zutaten“?
„Die Leibgerichte von Sterneköchen“?
Das war natürlich nur Wunschdenken, aber das wirkliche Motto der Sendung hat uns dann wohl doch – ja, man könnte sagen: umgehauen!
„Hits für Kids – lecker und gesund Kochen für Kinder“. Wir schauten uns gegenseitig an und stellten fest, dass jeder gerade dasselbe dachte. Warum nur…?
Aber egal, dachten wir uns, das sind ja schließlich Profis – lecker wird’s trotzdem. Außerdem ging es ja auch schon los: Kerner begrüßte die Köche Horst Lichter, Mario Kotaska, Lea Linster, Alexander Herrmann und Andreas C. Studer.
Immerhin: Horst Lichter war dabei, langweilig würde es also nicht werden. Johann Lafer hätten wir zwar auch gerne gesehen (bzw. uns von seinen Kochkünsten überzeugt), aber der hatte sich vielleicht aus gutem Grund vor dieser Sendung gedrückt.
Es begann sehr kurios: Horst Lichter wollte als Vorspeise Hamburger machen. Okay, dachten wir uns, das klingt jetzt vielleicht nicht sonderlich originell, aber der Horst wird schon was daraus machen. Selbstgemachter Ketchup vielleicht, spezielle Hackfleisch-Mischung, kein Plastikbrötchen plus irgendeine Extrazutat, die man vielleicht nicht unbedingt auf einem Burger erwarten würde.
Das sollte sich nur bedingt bewahrheiten: „Selbstgemacht“ war lediglich die Currymischung, mit der Lichter den Fertigketchup verfeinerte. Etwas Orangensaft gab er auch noch hinzu und ja, man muss fairerweise sagen, dass der Ketchup wirklich überzeugen konnte – trotz Fertigproduktbasis, die zum überwiegenden Teil aus Zucker bestand und nicht unbedingt dem Anspruch „Gesund kochen für Kinder“ gerecht wurde.
Wesentlich enttäuschender fanden wir dagegen die Plastikbrötchen und den Plastik-Schmelzkäse, vor allem letzteren. Was spricht denn bitte gegen einen guten, „richtigen“ Käse? Der Salat, das gab Lichter selbst zu, sei nur als Alibizutat gedacht. Ihm ginge es ohnehin eigentlich nur um den fleischigen Bestandteil des Burgers, der hier eine „Kringelbratwurst“ sein sollte. Na ja, es war halt ’ne Bratwurst – nichts Besonderes eben.
Wir wollen den „Kinderburger“ nicht schlechter machen als er war – er schmeckte lecker, aber unsere Erwartungshaltung war einfach größer.
Mit dem Burger trauten sich Kerner und Lichter noch in die erste Reihe – wir durften sogar als erste Gäste im Studio überhaupt probieren. Von da an wurden wir aber von den anderen Köchen gemieden. Wohl deswegen, weil man vermutlich denkt: „Die da in der ersten Reihe dürfen sowieso immer probieren, ich bin mal fair und gehe in die letzte.“ Ganz besonders fies war Lea Linster: Sie kam mit ihrem als Zwischengang geltenden panierten Putenschnitzel mit Kartoffelpüree und wollte uns probieren lassen. Plötzlich dachte jedoch auch sie sich, dass es wohl gerechter sei, die hinteren Reihen kosten zu lassen. Toll, Pech gehabt!
Die Bereitschaft der Köche, uns ihre Kreationen darzureichen, sollte sich nicht mehr ändern und so konnten wir nur noch in der passiven Rolle eines Zuschauers beurteilen, was dort vorne vor sich ging – also irgendwo hinter den ständig an uns vorbei rollenden Fernsehkameras.
An dieser Stelle also noch ein paar Kommentare zum Essen der übrigen Köche. Lea Linster fiel uns negativ dadurch auf, dass sie die Putenschnitzel absichtlich rechteckig zuschnitt, damit sie aussehen wie Fertigprodukte. Das, so ihre Argumentation, würden die Kinder besser finden. Wie bitte? Da fragt man sich ernsthaft, ob Frau Linster ihren Kindern zu Hause das Essen in Plastikschalen und Alufolie eingepackt serviert. Kerners Bemerkung zum hohen Zuckeranteil im Ketchup tat Lea Linster mit der Milchmädchenrechnung „Eingekocht ist das hinterher viel weniger!“ ab.
Von derart schwachen Argumenten bemerkte man bei Alexander Herrmann nichts. Herrmann, der laut Kerner als Kochbuchautor Quasiexperte für Kinderküche ist, versuchte mit Kartoffelschiffchen mit Schinkensegel zu beeindrucken. Dazu sollte eine Gemüseschatztruhe gereicht werden. Vom Grundsatz her ist seine Idee, Gemüse (Kartoffeln, Möhren, Sellerie) und (den bei Kindern besonders beliebten) Kochschinken künstlerisch bis spielerisch in Szene zu setzen, nicht zu kritisieren. Ganz anders also sein Ansatz, mit seinem Essen optisch bei Kindern zu punkten. Wie Linster, versetzt auch Herrmann seine Zutaten in nahrungsmittelfremde Formen – mit dem Unterschied, dass er das zehnmal kreativer tut als seine Kollegin. Und mal ehrlich – welches Kind würde ein plattes, paniertes Fleisch-Rechteck einer bunten „Schatztruhe“ (wenn auch aus Gemüse) vorziehen? Einzig die Art der Zubereitung könnte man bei Herrmann kritisieren: Was dort an Resten – wir hoffen, dass sie nicht im Müll landeten – nach dem miniaturmünzengroßen Ausstechen von Möhren- und Selleriescheiben übrig blieb, war schon beachtlich. Püriert als Sauce oder Saucenbasis wäre es ein gerechtfertigter Rest gewesen – aber so…?!
Positiv hob sich Mario Kotaska ab, der gut begründet ein wirklich gesundes und mit Sicherheit leckeres Fischgericht kreierte. Ob sein Trick, den Fisch ausgerechnet unter einem Haufen Salat zu verstecken, bei den meisten Kindern funktionieren würde, ist allerdings fraglich. Unserer Meinung nach hätte der Fisch nicht versteckt werden müssen.
Geschmacklich fand Andreas C. Studer mit seinem Buffet (Cranberry-Cookies, Schoko-Lollipops, Schokokuss-Muffins, süße Pizza) einen fulminanten Abschluss, dem wohl wenige Kinder widerstehen könnten. Über den Gesundheitsaspekt lässt sich sicher auch hier streiten – aber selbstverständlich hatte auch dieser Koch ein paar gesunde Alibi-Früchte verarbeitet.
Trotzdem – die E-Stoffe-Bomben und mit Geschmacksverstärkern vollgepumpten Fertigketchups und Schokolinsen sollte man unserer Meinung nach vielleicht einfach mal grundsätzlich weglassen. Wenn nicht diese Fernsehköche, wer dann sollte so etwas vermitteln können?